«Der Stoff wählt den Autor»: Thomas Hürlimann wird 75 Jahre alt
In seinen Werken hat sich Thomas Hürlimann wiederholt mit seiner Familiengeschichte und dem erzkatholischen Milieu aus seiner Jugendzeit befasst. Am 21. Dezember wird der Schweizer Autor, der sich vor kurzem noch auf der Schwelle zum Tod befand, 75 Jahre alt.
«Der Autor kann sich seinen Stoff nicht wählen, der Stoff wählt den Autor, das ist wie beim Träumen», sagte Thomas Hürlimann einmal, als er darauf angesprochen wurde, dass er mit seinen Büchern immer wieder anecke. Wiederholt sorgte er für Schlagzeilen auch ausserhalb des Literaturbetriebs: sei es als konservativer Intellektueller und vehementer EU-Kritiker oder aber als boshafter Chronist seiner Familiengeschichte.
Das war zum Beisiel bei seiner 2001 erschienenen Novelle «Fräulein Stark» der Fall, in der er den Alltag eines 13-jährigen Jungen in der Stiftsbibliothek von St. Gallen beschreibt. Dies führte bei Verwandten – allen voran bei seinem Onkel -, die sich wiedererkannten, zu harschen Protesten. Überdies warf ihm Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki vor, salopp mit Antisemitismus umzugehen.
Für einen Eklat hatte er bereits drei Jahre zuvor mit seinem Roman «Der grosse Kater» gesorgt, einer überaus kritischen Betrachtung eines Politikerlebens. Der Schweizer Bundespräsident, der dort beschrieben wurde, zeigte unverkennbare Parallelen zu seinem Vater, dem CVP-Bundesrat Hans Hürlimann.
Abrechnung mit dem Katholizismus
Wie ein roter Faden zieht sich auch der Katholizismus, den Hürlimann als Klosterschüler in Einsiedeln selber durchleben musste, durch das Werk. Bis hin zu seinem letzten, 2022 erschienenen Roman «Der rote Diamant», in dem er eben aus dieser Lebensphase berichtet.
Thomas Hürlimann kam am 21. Dezember 1950 in Zug zur Welt. Nach einem unterbrochenen Studium der Philosophie zog es ihn 1974 nach Berlin, wo er viele Jahre lebte, bis er schliesslich wieder in die Schweiz zurückkehrte. Heute lebt er wiederum im Kanton Zug, genauer: in Walchwil.
1981 schuf er mit dem Erzählband «Die Tessinerin» sein preisgekröntes Debüt als Autor. Darin beschrieb er autobiografische Begegnungen mit dem Sterben und der Vergänglichkeit – insbesondere mit dem Krebstod seines Bruders. Es war ein Schicksal, das Thomas Hürlimann Jahre später um ein Haar selber ereilen sollte: Zweimal brachte ihn eine Krebserkrankung an die Schwelle zum Tod.
Neben seinen Prosawerken schrieb Hürlimann, der in Berlin unter anderem als Dramaturg gearbeitet hatte, auch mehrere Theaterstücke, unter anderem für das «Welttheater» in Einsiedeln und für die Laientheatergruppe Chärnerhus am selben Ort.
Für sein schriftstellerisches Werk wurde Hürlimann mit zahlreichen Preisen geehrt. Die Theologische Fakultät der Universität Basel verlieh ihm 2016 die Ehrendoktorwürde.
Zum 75. Geburtstag erschien im S. Fischer-Verlag unter dem Titel «Der Wanderer und sein Koffer» eine literarische Reise durch das Werk von Thomas Hürlimann, herausgegeben von seiner Lebenspartnerin Fedora Wesseler.
