Deutsches Rentengesetz beschlossen – Regierungskrise abgewendet
Nach monatelangen Diskussionen hat der deutsche Bundestag das hoch umstrittene Rentengesetz mit absoluter Mehrheit der Koalition beschlossen und damit eine Regierungskrise abgewendet.
318 Abgeordnete votierten mit Ja, 224 mit Nein und 53 enthielten sich. Damit hat Kanzler Friedrich Merz sein Ziel der «Kanzlermehrheit» von mindestens 316 Stimmen um zwei Stimmen übertroffen.
Alle 318 Ja-Stimmen kommen von den Christdemokraten (CDU/CSU) und den Sozialdemokraten (SPD), es ist also eine Kanzlermehrheit aus eigener Kraft. Alle 120 SPD-Abgeordneten stimmten für das Gesetz. Von den 208 Parlamentariern der Union votierten sieben mit Nein, zwei enthielten sich, einer war abwesend.
Die rechtspopulistische AfD und die Grünen hatten vor der Abstimmung ihre Ablehnung angekündigt. Von beiden Fraktionen stimmten alle anwesenden Abgeordneten mit Nein. Alle 50 anwesenden Linken-Abgeordneten enthielten sich.
Merz, Spahn und Klingbeil erleichtert
Spitzenpolitiker der Koalition zeigten sich erleichtert. Merz wies darauf hin, dass noch eine grundlegende Rentenreform folgen werde. «Das ist nicht das Ende der Rentenpolitik, sondern erst der Anfang», sagte er. Der «erste Schritt in die richtige Richtung» sei gemacht.
CDU/CSU-Fraktionschef Jens Spahn sprach von einem guten Tag für die Koalition. «Sie debattiert, aber dann entscheidet sie auch.» Seine Fraktion habe zusammengestanden. Der CDU-Politiker mahnte aber auch Verbesserungen der Zusammenarbeit innerhalb der Koalition an.
Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) sprach von einem «klaren Ergebnis». «Ich bin dankbar dafür, dass wir jetzt die Entscheidung haben», sagte er dem Fernsehsender Phoenix. Jetzt müssten die Auseinandersetzungen in der Koalition beiseitegelegt werden und es müsse in den Mittelpunkt gestellt werden, worum es eigentlich geht. «Diese Koalition hat gerade für Millionen Rentnerinnen und Rentner dafür gesorgt, dass sie eine auskömmliche Rente bekommen, dass die Renten stabil bleiben.»
Bundesrat entscheidet am 19. Dezember
Wenn auch der Bundesrat (die Länderkammer) den Entwurf am 19. Dezember passieren lässt, kann das Gesetz am 1. Januar 2026 in Kraft treten.
Der Abstimmung war ein monatelanger Streit vor allem innerhalb der Union vorausgegangen. 18 junge Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion, die zu Beginn der Wahlperiode nicht älter als 35 waren, gingen wegen nur eines Satzes im Gesetzentwurf von Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) auf die Barrikaden.
Dabei geht es um das Rentenniveau ab 2032. Die Junge Gruppe in der Unionsfraktion akzeptiert zwar ein bei 48 Prozent stabilisiertes Rentenniveau bis 2031, lehnt wegen befürchteter Milliardenkosten aber ab, dass es auch danach noch höher angesetzt wird als nach jetziger Rechtslage. Der SPD-Chefin Bas wirft sie vor, bei der Ausgestaltung der sogenannten Haltelinie über den Koalitionsvertrag hinausgegangen zu sein.
Durch die Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent fällt zum 1. Juli 2031 eine Rente von beispielsweise 1.500 Euro um etwa 35 Euro pro Monat höher aus. Das ist ein Plus von 420 Euro im Jahr.
Rentenniveau und -höhe sind vor allem für jene rund 52 Prozent der Senioren und Seniorinnen zentral, die im Alter nur Einkommen aus der gesetzlichen Rentenversicherung haben. Im Osten Deutschlands liegt der Anteil sogar bei rund 74 Prozent.
Für Spahn ging es um seine politische Zukunft
Kanzler Merz schlug sich in der Auseinandersetzung auf die Seite der SPD. Die Renten-Rebellen der Union wurden in Einzelgesprächen bearbeitet, die vor allem Spahn führte. Ihm war schon das Scheitern der Verfassungsrichterwahl im ersten Anlauf im Sommer angelastet worden. Deswegen ging es für ihn bei der Abstimmung auch um seinen Job. Ein Scheitern hätte möglicherweise sein Aus als Fraktionschef bedeutet.
Der Abstimmung ging eine turbulente Debatte voraus, die der Kanzler aber zum grössten Teil verpasste. Er nahm erst mit mehr als 50 Minuten Verspätung demonstrativ gut gelaunt auf der Regierungsbank Platz. Merz hatte die Latte für die Abstimmung am Donnerstagabend noch einmal ein Stück höher gelegt und sich die «Kanzlermehrheit» als Ziel gesetzt.
Die heisst so, weil sie nur in wenigen Fällen wie der Wahl des Bundeskanzlers oder der Vertrauensfrage des Kanzlers benötigt wird. «Wir haben 630 Abgeordnete im Deutschen Bundestag. Die Mehrheit ist 316. Wir haben 328 und ich würde mir ein Ergebnis wünschen zwischen 316 und 328», sagte er.
Indirekte Vertrauensfrage des Kanzlers
Damit hatte der Kanzler noch einmal verdeutlicht, dass es bei der Abstimmung nicht nur um ein Gesetz, sondern um das Vertrauen in seine Koalition und letztlich um ihren Bestand geht. Manche werteten den Schritt sogar als indirekte Vertrauensfrage.
Merz wusste allerdings zu diesem Zeitpunkt auch schon, wie viele Abweichler sich bei der Fraktionsführung gemeldet haben. Dafür gab es eine Frist bis Mittwoch um 12.00 Uhr.
Öffentlich angekündigt hatte sein Nein in den letzten Tagen nur ein Unionsabgeordneter: der Vorsitzende der Jungen Union, Johannes Winkel. In der Bundestagsdebatte folgte mit dem Vorsitzenden der Jungen Gruppe, Pascal Reddig, ein zweiter Unionist. Der Gesetzesentwurf gehe gegen seine «fundamentalen Überzeugungen», gegen alles, wofür er Politik gemacht habe und gegen Generationengerechtigkeit. «Und deshalb habe ich mich entschieden, diesem Gesetz nicht zuzustimmen», sagte Reddig.
Insgesamt waren es am Ende neun Abgeordnete, die dem Kanzler und der Fraktionsführung nicht folgten. Bei einer Probeabstimmung am Dienstag waren es noch 10 bis 20 Gegenstimmen und etwa eine Handvoll Enthaltungen.
Rentenstreit wird nachwirken
Auch wenn Merz die eigene Kanzlermehrheit erreicht hat: Der Rentenstreit hat Spuren hinterlassen, die bleiben werden. Das Vertrauen zwischen Merz und den jungen Abgeordneten in der Union ist nachhaltig gestört. Die Junge Gruppe dürfte auch weiterhin klare Kante zeigen, wenn es gegen die Interessen der jungen Generation geht. Das gilt natürlich vor allem für die geplante grössere Rentenreform im nächsten Jahr.
Zweites Koalitionsjahr dürfte noch schwieriger werden
Für die Koalition wird 2026 eher schwerer als leichter. Es stehen fünf Landtagswahlen an, unter anderem in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, wo die AfD in den Umfragen an die 40 Prozent erreicht. Im Dauerwahlkampf sollen also Reformentscheidungen getroffen werden, die schwieriger werden als das, was Schwarz-Rot in den ersten sieben Monaten bei nur einer Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen beschlossen hat.
