«Keine Kontrolle, ganz viel Tennis»
Olaf Schürmann
Nikita ist der beste Tennis-trainer, den ich in seinem Alter jemals gesehen habe», schwärmt Tennis-coach Roy Sjögren aus Lachen bei unserer Begrüssung. Sjögren, der in Kaltbrunn seine eigene Tennisschule betreibt, sollte es wissen, denn er ist seit über 40 Jahren als Tennistrainer am Ball. «Ich nenne ihn Little Roy», sagt Sjögren und strahlt über sein ganzes Gesicht. Wer ist Little Roy?
Little Roy heisst mit richtigem Namen Nikita Starkou und kommt aus Brest. Die weissrussische Stadt Brest liegt direkt an der Grenze zu Polen, an den Ufern des Flusses Bug und zählt gut 300 000 Einwohner. Sie ist leicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Stadt Brest in der Bretagne. Roy und Nikita sind nicht so leicht zu verwechseln. Nikita Starkou ist 1,80 gross, der Schwede Sjögren misst 2,04 Meter. Aber die beiden mögen sich, das spürt man schnell.
Nikita fängt an
Im zarten Alter von vier Jahren fing Nikita Starkou mit dem Tennissport an. Drei Sandplätze, keine Halle, das war sein Tennisverein. «Im Winter ha-ben wir in der Turnhalle gespielt, aber Tennis ist bei uns ziemlich beliebt. Wir hatten mit Maks Mirny die Nummer 1 im Doppel», erzählt Tennislehrer Starkou stolz. Zwischen 2000 und 2012 sammelte besagter Mirny sechs Grand-Slam-Titel im Doppel. Zweimal US Open, viermal French Open mit vier unterschiedlichen Doppelpartnern. Lleyton Hewitt, Mahesh Bhupathi, Jonas Björkman und Daniel Nestor gewannen in New York oder Paris an Mirnys Seite. «Und heute kommt mit Aryna Sabalenka die Nummer eins bei den Frauen aus Belarus», so Starkou.
Sein erster Tennislehrer hiess Sergey. Auf den lässt Starkou nichts kommen, der hat ihm alles beigebracht. Sehr saubere Technik, gutes Spielverständnis und den Spass am Tennis. «Sergej war Professor für Psychologie an der Uni in Brest. Tennis spielen konnte er nicht gut, aber er hatte ein wahnsinniges Talent, Technik zu erklären», erinnert sich der 25-Jährige.
Nikita zieht aus
Dass Nikita Starkou Talent hat, bleibt nicht lange verborgen. Der sportbegeisterte Junge aus Brest ist gerade elf Jahre alt, da erhält er sein erstes Stipendium. Es geht nach Marl, eine deutsche Kleinstadt im Ruhrgebiet. «Ich war fünf Monate in der MTA-Academy in Marl», erzählt Starkou. Wie war das, ganz ohne Eltern? «Es war perfekt», sagt Starkou und lacht. «Das war die beste Zeit in meinem Leben. Keine Kontrolle, ganz viel Tennis.» Irgendwann war die beste Zeit des Lebens vorbei und es ging wieder zurück nach Brest.
Mit 13 Jahren zog Nikita Starkou dann in die Hauptstadt nach Minsk. Die nationale Tennisakademie rief und der Junge aus Brest folgte. Seitdem lebte der angehende Tennisstar in der Millionenmetropole. Der Unterschied: Fünf Sandplätze, fünf Kunstrasenplätze, sechs Hartplätze und fünf Hallenplätze.
Bis zum Ende seiner Schulzeit lebte und trainierte Tennis-Talent Starkou in Minsk. Sehr erfolgreich. Mit 16 ist er belarussischer Meister, die Nummer eins seines Jahrgangs. «Mit 17 habe ich für Belarus gegen Lettland, Polen und Rumänien gespielt, das war mein persönliches Highlight.»
Nikita studiert
Mit 17 stellt sich eine spannende Frage: Studium oder Militär. Die Antwort ist schnell gefunden: Studium. Sport-management in Minsk. Parallel gibt es Training in der Tennisschule seines Vaters. Doch bereits 2018 gehts in die grosse weite Welt. Starkou erhält ein Stipendium in den USA. Ein Jahr studiert und spielt er für die Kansas State University. «Nach einem Jahr hatte ich leider Probleme mit meinem Handgelenk und musste meine Zelte in Kansas abbrechen», schildert Starkou. «Eine Operation war zu riskant, daher musste ich pausieren und eine Manschette tragen.» Zurück in Minsk nimmt der Tennis-spieler sein Studium wieder auf und schliesst es 2021 ab. Nebenbei unterrichtet er, spielt selbst einige Turniere und ist gern gesehener Sparringspartner der belarussischen Nationalspieler. «Ich gehörte damals zum Trainerteam von Dmitry Tursunov, der Aryna Sabalenka betreute. Mit Sabalenka habe viel trainiert.»
Nikita unterrichtet
2021, Nikita Starkou hat sein Studium gerade beendet, erhält er einen Job in einer Tennisakademie in Seattle. «Eine riesige Akademie. Dort habe ich als Tennislehrer Tag und Nacht auf dem Platz gestanden. Das war zu viel.» Also ging es zurück nach Europa. Nächste Station: Baden-Baden in Deutschland. Tolle Stadt, nette Leute, Starkou bleibt. «In Baden-Baden habe ich auch meine Frau Lara kennengelernt.» 2024 folgt der nächste Wechsel, diesmal Konstanz. Auch Deutschland, auch schön, auch nette Leute. «Das hat soweit gut gepasst, aber die Rahmenbedingungen waren nicht optimal», beschreibt der Weissrusse.
Also schaut er sich weiter um und liest die Anzeige von der Tennisschule Sjögren. Ein Telefonat, ein Schnuppertraining beim Neujahrscamp, der erste Job in der Schweiz wird fixiert. Seit Mitte April ist Nikita Starkou fester Bestandteil der STS in Kaltbrunn.
«Ich bin immer dann zufrieden, wenn meine Schülerin oder mein Schüler sagen, dass sie etwas gelernt haben», verdeutlicht Starkou. Wenn er es schaffe, einem anderen Menschen etwas beizubringen, dann sei er glücklich. Starkou ist erst 25 Jahre alt, hat seine eigene Karriere aber abgeschlossen und konzentriert sich ganz auf seinen Job als Tennislehrer. «Ich coache lieber einen Schüler, als selbst zu spielen. Wenn ich auf meinem früheren Niveau spielen wollte, müsste ich zu viel trainieren, das geht einfach nicht», stellt er ganz sachlich fest. Bei der Frage nach einem Vorbild kommt Tennislehrer Sergey wieder ins Spiel. «Er hat mir alles beigebracht, er war toll. Und als Junge war mein Vorbild Marat Safin.» Sehr spannend, Little Roy ist erst 25 Jahre alt, hat aber schon eine Menge erlebt.
Tennislehrer Nikita Starkou ist erst 25 Jahre alt. Aber Erfahrung hat er.
Daher ist Starkou Teil 10 unserer Serie über Trainer aus der Region.
«Im Winter haben wir in der Turnhalle gespielt.» «Mit Sabalenka habe ich viel trainiert.» «In Baden-Baden habe ich meine Frau Lara kennengelernt.»