«Wie sorge ich gut für andere, ohne mich dabei selbst zu verlieren?»
Martina Krauer, Dr. Thomas Bregenzer, Marlies Frischknecht, Maja Sollie und Susanne Disteli (v. l.) nach dem Publikumsvortrag. Bild: zvg
Ausserschwyz, Erste Seite
10. June 2025

«Wie sorge ich gut für andere, ohne mich dabei selbst zu verlieren?»

Rafael Muñoz

Es ist paradox: Unsere Gesellschaft altert zunehmend, und trotzdem spricht niemand gern über jene Lebensphase, in der bald immer mehr von uns stehen werden. Am vergangenen Donnerstag lud Susanne Disteli, Projektleiterin Palliative Care am Spital Lachen, zu einem öffentlichen Vortrag im Spitalrestaurant Santé. Vier Fachpersonen sprachen über ihre Erfahrungen zum Thema pflegende Angehörige und gaben Einblicke und Tipps aus der Praxis. Das Ziel der Veranstaltung: Neue Impulse erhalten und stärkende Perspektiven entdecken.

Unbezahlte Helden

«Betreuende Angehörige sind eine unverzichtbare Säule der Schweizer Gesundheitsversorgung », heisst es im Porträt des Förderprogramms «Entlastungsangebote für betreuende Angehörige 2017–2020» des Bundesamts für Gesundheit (BAG). Je nach Studie unterstützen in der Schweiz zwischen 860000 und 1,4Millionen erwerbstätige Personen einen Angehörigen. Ihr freiwilliges Engagement ist rund 3,7 Milliarden Franken pro Jahr wert. Diese und weitere Fakten präsentiert Susanne Disteli, die durch den Abend führt, bevor sie das Wort an den ersten Referenten des Abends übergibt.

Für Betroffene sei die zunehmende Pflegebedürftigkeit häufig ein schambehaftetes Thema, sagt Dr. Thomas Bregenzer, Chefarzt Innere Medizin im Spital Lachen. Vielen falle es schwer, den Verlust der Selbstständigkeit anzuerkennen und zu akzeptieren. Hinzu kämen nicht selten materielle Sorgen, die zusätzlich belasten. Noch immer pflegen viele Menschen ihre Angehörigen oft über Jahre hinweg und bis zum Lebensende. Diese Aufgabe kann erfüllend sein, sie kann aber auch ein stilles Leiden bedeuten. Das muss nicht sein. Es gibt heutzutage ein grösseres Verständnis und mehr Angebote für pflegende Angehörige.

Bedürfnisse der Angehörigen sind legitim

Ein Grundsatz, der praktisch über die ganze Veranstaltung hinweg im Mittelpunkt seht, lässt sich in einem Zitat von Dr. Bregenzer zusammenfassen: «Niemand darf zusätzlich krank werden.» Der Mediziner gibt einen allgemeinen Überblick über die Situation zwischen Pflege und Selbstfürsorge, in der sich viele befinden. Er und sein Team achten darauf, auch die Bedürfnisse der Angehörigen zu erkennen. Denn was nützt es einem pflegebedürftigen Menschen, wenn die engsten Bezugspersonen vor Erschöpfung ebenfalls krank werden? Das Ziel müsse lauten, die ursprüngliche Situation wiederherzustellen. Nämlich, dass Angehörige erst dann herbeispringen, wenn ein Notfall eintritt. «Alles, was planbar ist, sollte man delegieren», empfiehlt Bregenzer. Es sei wichtig, Hilfe anzunehmen, ob von Angehörigen, Freunden, der Spitex oder anderen Fachorganisationen.

Im Anschluss berichtet Martina Krauer, Fachexpertin Palliative Care am Spital Lachen, aus ihrem Arbeitsalltag. Sie erklärt zunächst den Begriff der Palliativpflege, der das pflegerische Fachwissen für die ganzheitliche Betreuung von Menschen mit einer unheilbaren, fortschreitenden und zum Tode führenden Einschränkung bezeichnet. Bevor sie das Angebot des Spitals vorstellt, weist auch sie darauf hin, dass nicht nur die pflegebedürftige Person selbst betroffen ist, sondern immer «das ganze familiäre und soziale Umfeld». Sie macht keinen Hehl daraus, dass die Betreuung von sterbenden Menschen «nicht ganz einfach» ist. Gleichzeitig hat sie gute Erfahrungen damit gemacht, die Angehörigen einzubeziehen, denn «manchmal ist es schwieriger, tatenlos daneben zu stehen ». Für sie ist die Pflege von sterbenden Menschen ein «Spannungsfeld zwischen Belastung und Bereicherung».

Der letzte Weg soll schön sein

Die nächste Referentin ist Marlies Frischknecht, die als Seelsorgerin im Spital Lachen tätig ist. Sie plädiert dafür, auch dem Verlust Raum zu schenken. Selbst in der Tatsache, von anderen abhängig zu sein, stecke etwas Schönes. Familie und Freunde sind eine Kraftquelle.

Für einen offenen Umgang mit der letzten Lebensphase wirbt auch der abschliessende Vortrag von Maja Sollie, diplomierte Pflegefachfrau für Palliative Care und Sterbebegleitung. «Je mehr die Menschen über das Sterben reden, desto besser», sagt sie. Vor 100 Jahren seien noch rund 97 Prozent der Menschen im eigenen Zuhause gestorben, heute seien es nur noch 20 Prozent. «Wir haben das bisher verdrängt », stellt sie fest.

Seit den 1980er-Jahren jedoch sei eine positive Entwicklung zu beobachten mit dem Aufkommen der Palliativpflege, denn ihre Überzeugung lautet: «Auch dieser Weg soll schön sein.» Und dafür muss über den letzten Weg gesprochen werden.

Ein öffentlicher Anlass im Spital Lachen widmete sich einem Thema, das unsere moderne Gesellschaft gerne verdrängt: Pflege und (Selbst-)Fürsorge in der letzten Lebensphase. Vier Fachpersonen hielten ein Plädoyer für ein gesundes Gleichgewicht.

3,7

Milliarden Franken

pro Jahr ist das freiwillige Engagement von betreuenden Angehörigen wert.

«Alles, was planbar ist, sollte man delegieren.»

Dr. Thomas Bregenzer

Chefarzt Innere Medizin