Kampf um die Lebensmittelversorgung in der «grössten Ebene des Landes»
Stefan Paradowski*
Die Schweiz war für die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und Rohstoffen stets von Handelsgeschäften mit dem Ausland abhängig. Der Zweite Weltkrieg schränkte die Import- und Exportgeschäfte sowohl mit den Achsenmächten als auch den Alliierten stark ein. Massnahmen zur langfristigen Selbstversorgung waren notwendig. Mit dem «Plan Wahlen» wurde die systematische Selbstversorgung der Schweiz umgesetzt.
Über den «Plan Wahlen» und den Mehranbau
Die gezielte Lebensmittel-Selbstversorgung im Zweiten Weltkrieg in der Schweiz ging schliesslich als «Anbauschlacht » in die Geschichte ein. Wie sie vonstattengehen sollte, wurde von Friedrich T. Wahlen (1899 bis 1985) – Chef der Sektion landwirtschaftliche Produktion und Hauswirtschaft im Kriegsernährungsamt, Vater der «Anbauschlacht », späterer Bundesrat – bereits einige Jahre vor Kriegsbeginn studiert.
Der Anbauplan, genannt nach dessen Verfasser als «Plan Wahlen», war im Herbst 1940 bereit. Der Plan, eigentlich ein marktwidriges Projekt, war ein staatlich dirigiertes Programm zur Förderung des innerschweizerischen Lebensmittelanbaus und dauerte von 1940 bis 1945. Die Ziele waren die Ausweitung des Ackerbaus, die Reduzierung der Viehzucht sowie die Rationierung der Lebensmittel. Die Anbaufläche in der Schweiz sollte von 180 000 ha auf 500 000 Hektaren erhöht werden. Bei Abbruch der Anbauschlacht 1945 war sie immerhin auf 360 000 Hektaren gestiegen.
«Grössten Ebene unseres Landes»
Der Bundesrat bezeichnete 1938 die Linthregion als «grösste Ebene unseres Landes».Entsprechend wichtig war die Linthebene bei der «Anbauschlacht». Unternehmungen mit mehr als 20 Arbeitern erfüllten mit der Anlegung von Pflanzwerken ihre vorgeschriebene Anbaupflicht. Erwartet wurde von ihnen bei einer gesamtschweizerischen Anbaufläche von 360 000 Hektaren ein Beitrag von 12 000 Hektaren.
In den fünf Pflanzgebieten Lachen, Benken, Reichenburg, Kaltbrunn und Schänis war 1943 auf einer Gesamtfläche von 208 Hektaren das Linthkonsortium mit 14 namhaften Firmen – darunter etwa die Maschinenfabrik Oerlikon – tätig. 48 glarnerische und 21 zürcherische Firmen schlossen sich zum «Glarner Industrie-Pflanzwerk» GIP zusammen.
Auch die Selbstversorgung zählte: Nahezu eine halbe Million nichtbäuerliche Familien pflegten Eigenanbau. Da der Boden im Eigentum der Gemeinden, Genossamen und Privaten war, wurde dieser vom Eidgenössischen Kriegsernährungsamt gepachtet und der Schweizerischen Vereinigung für Innenkolonisation und industrielle Landwirtschaft SVIL zur Bewirtschaftung unterverpachtet.
Aufgrund der Kriegsmobilmachung fehlte es insbesondere während der Heu- und Erntezeit an landwirtschaftlichen Arbeitskräften. Deswegen setzte sich die Arbeiterschaft auf den Pflanzwerken der SVIL in der Linthebene aus Taglöhnerinnen und Taglöhnern sowie Schulkindern aus den umliegenden Gemeinden, Angestellten im Monatslohn und 100 bis 150 Internierten zusammen. 1000 Lehrlinge leisteten jährlich von Frühjahr bis Herbst während ihres dreiwöchigen Arbeitseinsatzes in den beiden SVIL-Lagern Doggen (Benken) und Steinerriet (Schänis) Landdienst.Während der Saat- und Erntezeit waren 400 bis 500 Hilfskräfte im Einsatz.
Externe Bodenbearbeitungsflotte war auch im Einsatz
Der Selbstversorgungsgrad der Schweiz konnte von 1940 bis 1945 von 52 % auf 59 % gesteigert werden. Die Schweizerische Vereinigung für Innenkolonisation und industrielle Landwirtschaft SVIL setzte beim Linthebene-Anbau folgende Zugkräfte ein: 2 Bührer-Traktoren, 7 Pferde, 140 Ochsen, Maschinen und Geräte Die entsprechenden Anschaffungskosten, inklusive Bauten, beliefen sich auf 677 000 Franken. Auch eine externe mobile Bodenbearbeitungsflotte war im Einsatz. Die «Ackerbau-Kolonne Gebr. Huber Tuggen» stellte sich in einem Werbeprospekt so dar: «Wir sind die Vertrauensfirma der meisten Gemeinde-, Industrie- und Korporationspflanzwerke im Linthgebiet!».
* Dr. Stefan Paradowski ist polnisch-schweizerischer Doppelbürger, Kunsthistoriker, in Benken aufgewachsen und in Lachen wohnhaft. Er führt die Agentur für Kunst und Regionalgeschichte und ist Vorstandsmitglied des Marchrings.
Durchhalten – die March im Zweiten Weltkrieg, eine achtteilige Serie über eine Zeit der Bedrohung und Entbehrung. In Teil 5 geht es um den «Plan Wahlen», auch «Anbauschlacht» genannt, mit welchem der Selbstversorgungsgrad des Landes gesteigert werden sollte.
«Der Selbstversorgungsgrad der Schweiz konnte von 52 % auf 59 % gesteigert werden.»