Wie Rapperswil-Jona zur Velostadt werden soll
Pascal Büsser
Nichts weniger als eine «Velowende » in Rapperswil Jona fordert Gaudenz Lügstenmann – und mit ihm rund 200 Personen, die ihre Unterschriften beim Stadtrat deponiert haben. Sprich: Das Velo soll im Stadtgebiet ganz oben auf die Prioritätenliste kommen. Als Vorbild dienen europäische Velostädte wie Utrecht oder Kopenhagen.
Lügstenmann ist Musikschulleiter in Rapperswil-Jona. Und privat seit langem Veloaktivist. Schon vor rund 30 Jahren machte er mit Kollegen mit fünf grün angemalten Velos in der Stadt auf das umweltfreundliche Fortbewegungsmittel aufmerksam. Dies erzählte er vor Kurzem im Neuhof in Jona, wo er und seine Frau mit einem befreundeten Paar zum Veloznüni geladen hatten. Gut 100 Personen folgten der Einladung am Samstagvormittag.
Es kamen nicht nur die Stadträte Joe Kunz (parteilos) und Luca Eberle (SP). Letzterer, seines Zeichens Schulpräsident und selber Veloenthusiast, versicherte in seiner kurzen Ansprache, seinen Mitarbeiter Lügstenmann nicht zum Anlass angestiftet zu haben. Anwesend war auch Carsten Hagedorn vom Kompetenzzentrum Fuss- und Veloverkehr der Fachhochschule Ost.
Der prominenteste Gast der Veranstaltung war indes Ursula Wyss. Die Ex-Nationalrätin und Stadtberner alt Gemeinderätin führt heute ein Beratungsbüro für strategische Stadtentwicklung und urbane Mobilität. Und ist Mitautorin des Buchs «Velowende. Für eine lebendige Stadt».
Dieses verfasste sie zusammen mit einer Grünen-Stadträtin aus Stuttgart, einem Professor für Mobilitätsgeografie an der ETH Lausanne und einem Raum- und Verkehrsplaner sowie Dozenten an der Ostschweizer Fachhochschule. Je ein Exemplar des Buchs liess Lügstenmann zusammen mit den Unterschriften allen Stadträten zukommen.
«Das Rad nicht neu erfinden»
Es sei einiges gegangen in den letzten 20 Jahren auf den Strassen von Rapperswil-Jona, sagte Lügstenmann. Die Zahl der Unfälle mit Polizeieinsatz habe sich auf 100 bis 150 pro Jahr mehr als halbiert. «Bezüglich Sicherheit haben wir also schon etwas hingebracht», meinte er. «Aber ich glaube, da geht noch mehr bezüglich Lebensqualität.» Für Lügstenmann ist klar: «Das Velo ist das schnellste und beste Verkehrsmittel in der Stadt.» Entsprechend gelte es die Prioritäten zu setzen.
Ursula Wyss unterlegte die Forderung mit Zahlen und Beispielen. Wobei sie einleitend selber infrage stellte, ob das Wort «Wende» im aktuellen politischen Klima noch förderlich sei. Aber letztlich gehe es um etwas Grosses. «Wie können wir mit dem Velo in der Stadt eine Veränderung hinbringen, die allen hilft?», fragte sie rhetorisch. Warum eine Velostadt auch für Autofahrer von Vorteil sei, erklärt Wyss im Gespräch mit unserer Zeitung. Man müsse, und das solle das Buch zeigen, «das Rad nicht neu erfinden». Die Autoren schauten ins Ausland, und was dort bereits gemacht wird und funktioniert. Namentlich in Holland. Wobei Wyss nicht ohne Stolz einen Index zitierte, nachdem es «ihr» Bern als einzige Schweizer Stadt in die Top 10 der velofreundlichsten Städte der Welt geschafft hat.
Besteht der Veloweg den Laura-Test?
Als wegleitend erwähnte Wyss das Drei-V-Prinzip: Erstens Veränderungen des Strassenraums als möglich erachten und diesen nicht als gottgegeben hinnehmen. Zweitens die Vielfalt der Velofahrenden berücksichtigen, vom Gümeler über den Berufspendler und die Seniorin bis hin zu Kindern. Sowie drittens die Verantwortung wahrnehmen und eine velofreundliche Infrastruktur bauen. «Es braucht ein Velowegnetz, das durchgängig ist, es kann nicht erst 500 Meter nach dem Start-ort anfangen oder 500 Meter vor dem Zielort aufhören – oder dort, wo es eng wird», sagte Wyss.
Wegleitend für die Infrastruktur solle für eine Verwaltung der Laura-Test sein. Sprich: Kann die elfjährige Laura hier sicher Velo fahren? Die geplanten neuen Velowege an der Alten Jonastrasse beurteilte Wyss etwa als absolute Minimallösung. Wenn man Velostreifen markiere, müssten diese durchgezogen sein. Ansonsten sei es rechtlich nach wie vor eine Autofläche.
Trotz grosser Forderung nach einer Velowende betonte Wyss zugleich, einfach mal klein anzufangen statt lange auf den grossen Wurf zu warten. Die Einwände gegen mehr Veloverkehr wie wenig Platz, schlechtes Wetter oder guter ÖV seien in der Schweiz und im Ausland die gleichen. Auch auf solche «Mythen» geht das Buch ein. Entscheidend sei der Wille. Und die Schweiz habe im Bereich Veloverkehr in den Städten noch viel Luft nach oben.
Stadtrat zweifelt an politischem Willen
Beim politischen Willen in Rapperswil-Jona setzte Stadtrat Luca Eberle ein Fragezeichen. «Fast alle sind der Meinung, dass es zu viel motorisierten Verkehr in der Stadt hat. Bei den Lösungen gehen die Meinungen aber auseinander.» Obwohl es nach seinem persönlichen Gusto wäre, sagte Eberle: «Rapperswil-Jona kann sich im Velobereich nicht locker vergleichen mit vorbildlichen Städten.» Die Grundhaltung sei eine andere, auch private Interessen hätten hier mehr Gewicht, mein-te Eberle, was sich an Einsprachen zeige. Und politisch sei die «die grosse Schwierigkeit in unserer Stadt, Mehrheiten zu schaffen, die «verheben» und die antizipierbar sind.» Aber: Die Stadt verfügt über ein Velo- und Fussverkehrskonzept mit rund 600 Massnahmen. Ein Teil sei umgesetzt, so Eberle. Und seit letztem Sommer kümmere sich in der Stadtverwaltung eine neue Fachperson Mobilität explizit um das Thema.
Ein Impuls ist also gesetzt. Mit dem Buch an die Stadträte ein zweiter. Eberle gab an, es bereits durchgelesen zu haben. «Ich bin noch dran», beantwortete Neo-Stadtrat Kunz eine entsprechende Frage. Und rauschte ab zu den Kindern beim Pumptrack im Grünfelspark. Mit dem Velo.
Velofreunde fordern von der Stadtführung eine «Velowende» in Rapperswil-Jona. An einem Anlass mit Stadträten erklärte eine Ex-Politgrösse, was der Laura-Test mit guten Velowegen zu tun hat.
Als Vorbild dienen europäische Velostädte wie Utrecht oder Kopenhagen.
«Es braucht ein Velowegnetz, das durchgängig ist, es kann nicht erst 500 Meter nach dem Startort anfangen oder 500 Meter vor dem Zielort aufhören – oder dort, wo es eng wird.»
Ursula Wyss
alt Natonalrätin und Stadtberner alt Gemeinderätin