«Wie gehe ich mit diesen Gefühlen um?»
Im Interview spricht der preisgekrönte Journalist und internationale Bestsellerautor Mikael Krogerus über seine Leidenschaft für American Football, ethische Zwickmühlen und was Donald Trump damit zu tun hat.
mit Mikael Krogerus sprach Claudio Sidler
Es ist keine einfache Aufgabe, Mikael Krogerus in wenigen Sätzen vorzustellen. Klar, der gebürtige Finne ist Bestsellerautor, preisgekrönter Journalist und tourt gemeinsam mit Roman Tschäppeler mit einem humorvoll- schlauen Bühnenprogramm durch die Schweiz. So weit, so eindrucksvoll.
Wer Krogerus aber «nur» auf seine beruflichen Tätigkeiten und Erfolge reduziert, wird ihm trotz eindrücklicher Vita dennoch nicht gerecht. Der Wahl-Basler beschäftigt sich auch ausserhalb seines Berufslebens intensiv mit gesellschaftlichen Themen, er mag es, zu reflektieren, zu hinterfragen und zu kritisieren. Dabei macht Krogerus auch bei sich selbst keine Ausnahme. Im folgenden Gespräch geht es nämlich um seine paradoxe Leidenschaft für American Football. Oder in Krogerus’ Worten: «Das ist mein ‹guilty pleasure›.»
Wir beginnen mit der «Plotz Law», einer Formel aus Ihrem Buch «Faustregeln». Sie besagt – verkürzt erklärt –, dass man sich vor der Zusage eines Termins fragen sollte: «Würde ich auch für morgen zusagen? » Haben Sie die Empfehlung eingehalten oder bereuen Sie es bereits, hier zu sitzen?
(lacht) Es fiel mir nicht schwer, die Empfehlung einzuhalten, ich habe mich total über die Anfrage gefreut. Es ist sogar einer der Termine, die ich auf der Stelle wahrgenommen hätte.
Dann legen wir los und sprechen über Football. Woher kommt Ihre Leidenschaft für den Sport?
Die Faszination ist eng mit meiner Faszination für die amerikanische Kultur verbunden. Ich mag das Freundliche, das Positive, aber auch das Pathetische. Wenn ich nur schon sehe, wie sie am Spieltag in den USA die Nationalhymne singen, da – und das ist mir wirklich etwas peinlich –, da schiessen mir fast die Tränen in die Augen (lacht).
Das ist Ihnen nicht zu oberflächlich?
Es scheint erst mal oberflächlich, klar, aber tatsächlich steckt im Spektakel und in der pathostriefenden Inszenierung ja nicht nur eine etwas lächerliche Selbstüberschätzung, sondern auch eine tiefe Ernsthaftigkeit in der Auseinandersetzung mit dem Sport. Jeder Bereich des Spiels wird analysiert. Und es wird mit offenem Herzen, heruntergelassener Hose, aber auch mit eingeschaltetem Kopf darüber geredet – das finde ich super.
Man ist mit Leib und Seele dabei.
Genau, und das macht den Sport nur noch interessanter. Es ist wie im Leben: Wenn man sich mit etwas ernsthaft beschäftigt, wird es früher oder später auch interessant.
Sehen Sie Unterschiede zum Fuss-ball dominierten Europa?
Bei uns gibt es diese halb-ironische Distanz zum Sportinteresse. Wir nehmen den Fussball nicht auf die gleiche Weise ernst wie die Amerikaner ihren Football. Ernsthaftigkeit bedeutet in Fussball-Europa oft, dass sich Ultras gegenseitig die Köpfe einschlagen.
Was begeistert Sie am Spiel selbst?
Ich glaube, es sind zwei Bereiche. Zum einen hat Football eine Komplexität und Tiefe, sodass selbst langweilige Spiele nicht wirklich langweilig sind. Das Spiel ist ein Mix aus totaler Planung und totaler Improvisation. Die Spielzüge sind wie Choreografien: Jede Bewegung muss sitzen. Und sobald ein Spieler einen Fehler macht, bricht alles zusammen.
Man versucht, die Zufälligkeit zu minimieren.
Was natürlich nicht immer gelingt (schmunzelt) und dann ist Improvisationskunst gefragt. Auch dieser Bereich fasziniert mich unheimlich, denn auch dabei sind alle im Team gefragt. Diese komplette Kontrolle, gepaart mit der kompletten Spontanität, ist unglaublich unterhaltsam und fast eine Para-bel aufs Leben.
Das müssen Sie erklären.
Beispielsweise im Büro: Wenn du immer unvorbereitet in eine Sitzung reinstolperst, wirst du deinen Job nicht gut machen können. Wenn du aber nicht akzeptieren kannst, dass die Wirklichkeit nicht immer planbar ist, wirst du wahrscheinlich auch irgendwo auflaufen. Es geht um die richtige Balance.
Nebst dem Sportlichen ist die amerikanische Footballliga NFL aber vor allem auch für ihre vielen Skandale bekannt. Sie gilt als macho-haft, homophob, rassistisch – ein moderner Gladiatorenkampf. Hinterfragen Sie manchmal Ihre Leidenschaft?
Klar. Wenn ich beispielsweise an die schweren Kopfverletzungen und die daraus resultierenden degenerativen Gehirnerkrankungen denke … Einige Spieler lassen ihre Gesundheit, wenn nicht sogar ihr Leben auf dem Platz. Und ich gucke dabei zu?
Das fühlt sich falsch an.
Es ist paradox: Ich schaue etwas, das überhaupt nicht meinen ethischen Idealen entspricht. Wie gehe ich damit um, und was heisst das für mich? Das ist und bleibt für mich eine offene Frage. Diese paradoxen Gefühle kommen zum Beispiel hoch, wenn ich Spieler wie Kareem Hunt auf dem Feld sehe.
Der Runningback der Kansas City Chiefs, der wegen häuslicher Gewalt verurteilt wurde, dann zu den Browns wechselte und nun wieder für die Chiefs aufläuft.
Solche Fälle – und davon gibt es ja lei-der einige – beschäftigen mich sehr. Nach seiner Verurteilung wurde Hunt von den Chiefs entlassen, und man sprach davon, dass er nie mehr in der NFL spielen wird. Weil sich dann aber andere Spieler verletzten, steht er nun wieder im Kader der Chiefs und spielt im Superbowl. Der sportliche Erfolg steht über allem – über der Gesundheit, dem Rechtsverständnis, aber auch über dem Sinn für Ethik. Das finde ich schrecklich.
Was passiert mit Ihnen, wenn Sie Hunt spielen sehen?
Ich merke, dass ich den Spieler instinktiv richtig doof finde (lacht). Ich wünsche mir, dass ihm etwas passiert, dass er beispielsweise den Ball fallen lässt. Ich freue mich auch, wenn die New York Jets mit Aaron Rodgers, diesem Corona-Leugner und Trump-Sympathisanten, auf die Schnauze fallen. So versuche ich, mir wohl mein Gewissen reinzuwaschen. Man kann als Mensch die Ethik nicht ausblenden, das ist ja auch was Gutes. Das schlechte Gewissen ist wohl der Preis, den du bezahlst, wenn du diesen Sport schaust. Damit muss ich leben.
Viele Spieler und Funktionäre der NFL haben enge Bande zum aktuellen US-Präsidenten. Dieser scheint die NFL für seine Zwecke instrumentalisieren zu wollen.
Und das spürt man auch. Diese Pathos-kultur, die ich so schätze, kann eben sehr leicht reaktionär benutzt werden – das macht mir sehr zu schaffen. In Trump-Kreisen wird die körperliche Dominanz, die Männlichkeit und das Kein-Schmerz-Zeigen abgefeiert. Ich bin dann oft nahe dran, mein NFL-Abo zu kündigen. Weil ich denke: Eigentlich spiele ich damit Donald Trump in die Tasche. Andererseits hat uns die NFL auch einen der interessantesten zivilgesellschaftlichen Momente der letzten 20 Jahre beschert: den Kniefall von Colin Kaepernick.
Dieser kniete sich 2016 Woche für Woche während der Nationalhymne demonstrativ hin und solidarisierte sich damit mit der Black-Lives- Matter-Bewegung.
Eine unglaublich starke symbolpolitische Geste. Als er sich das erste Mal allein hinkniete, haben ihn alle ausgelacht. Aber er machte weiter. Dann ha-ben ihn alle beschimpft. Aber er mach-te weiter. Und irgendwann ist es gekippt – und viele andere Spieler knieten sich mit ihm hin. Und dann konnten das auch die TV-Sender nicht mehr ignorieren und ausblenden. Das ist eben auch Football: in einer zutiefst reaktionären Kultur ein progressiver Lichtblick.
Kaepernick, der sein Team einst bis in den Superbowl führte, wollte da-nach aber kein Team mehr verpflichten.
Ihm war die Black-Lives-Matter-Bewegung wichtiger als sein Beruf und seine sportliche Leidenschaft. Dafür bewundere ich Kaepernick. Nike schaltete dann diese Werbung mit ihm: «Believe in something. Even if it means sacrificing everything.» Das hat mich extrem berührt: Wofür wärst du bereit, alles aufzugeben? Auch das hat uns der Football gebracht. Trotzdem ist es natürlich verwerflich, dass Hunt einen neuen Vertrag bekommt, Kaepernick aber nicht. Es wird sich nun zeigen, ob Nike das Rückgrat hat, an diesem Kurs festzuhalten während Trumps zweiter Amtszeit, oder ob sie sich, wie Meta und andere, dem rechtskonservativen Zeitgeist andienen.
Wie reagiert eigentlich Ihr Umfeld auf Ihre Leidenschaft für American Football?
Meine Frau kann die Leidenschaft nicht verstehen, akzeptiert sie aber mit einem spöttischen Schmunzeln. Um meine Leidenschaft teilen zu können, habe ich Freunde von mir per Podcast angefixt. Den nehme ich nur für diese fünf Menschen auf.
Die NFL ist auch neben dem Platz ein spannendes Konstrukt. Saläre sind öffentlich, und Teams dürfen nur eine bestimmte Gesamtsumme an Löhnen zahlen.
Auch das ist unglaublich spannend! Der Mix aus dieser Lohn-Obergrenze und dem Draften von Jugendspielern ist ja die Quasi-Zusammenführung von Kapitalismus und Sozialismus: Während im Fussball die Reichsten immer gewinnen, kriegen im Football die Vorjahresschlechtesten im Draft die besten Chancen, wieder besser zu werden. Da könnte sich der Fussball – be-sonders das mit der Lohn-Obergrenze – durchaus etwas abschauen.
Es wird so zu einer Kunst, Jahr für Jahr einen konkurrenzfähigen Kader aufzustellen.
Absolut. So wie es jetzt die Chiefs schaffen oder zuvor über Jahre die Patriots. Du kannst – aufgrund der Gesamtlohngrenze – in der NFL nicht einfach nur die besten und teuersten Spieler holen, weil sonst deren Mitspieler nichts mehr verdienen. Das führt dazu, dass Superstars und Top-Quarterbacks freiwillig auf einige Millionen Dollar verzichten, um beispielsweise eine gute Offensive Line zu finanzieren. Schliesslich machen oft genau diese namenlosen Spieler dann den Unterschied aus. Das liebe ich an diesem Sport.
Eigentlich ein schöner Schlusssatz. Wollen Sie noch etwas ergänzen?
Hm, ja. Vielleicht etwas noch: Mir ist klar, dass es im Leben noch viel wichtigere Dinge gibt als Football. Ich habe zwei Kinder, es gibt eine Klimakatastrophe, wir erleben einen gewaltigen Rechtsruck – das ist alles viel, viel wichtiger als Football. Aber von allen unwichtigen Dingen im Leben ist mir Football am wichtigsten.
«Es ist paradox: Ich schaue etwas, das überhaupt nicht meinen ethischen Idealen entspricht.» «Die NFL hat uns einen der interessantesten gesellschaftlichen Momente der letzten 20 Jahre beschert.» «Football hat eine Komplexität und Tiefe, sodass selbst langweilige Spiele nicht wirklich langweilig sind.» «Meine Frau kann die Leidenschaft nicht verstehen, akzeptiert sie aber mit einem spöttischen Schmunzeln.»