Der wohl bekannteste «Lost Place» der Schweiz vergammelt
Fast alle kennen diesen Anblick: An der verlassenen und zerfallenden Walensee-Raststätte an der A3 fahren täglich Tausende Autos vorbei. Bild Marco Lüthin
Region
6. August 2024

Der wohl bekannteste «Lost Place» der Schweiz vergammelt

Es ist Sommerferienzeit. Die Reiserückkehrenden aus dem Süden und den Bündner Bergen ziehen auf der Walenseeautobahn an ihr vorbei. Dass in der heute verlassenen Raststätte einst zu dieser Zeit Hochbetrieb herrschte, ist schwer vorstellbar, wie der Rundgang durch die Ruine zeigt: Statt nach Pommes frites und Grillpoulet riecht es nach Muff und kaltem Rauch. Unter den Schuhen knirscht es. Der Eingangsbereich gleicht einem Meer aus Scherben. Der Gastraum und der Buffetbereich sind übersät von kleinen und grossen Trümmern, Elektroschrott, Abfall und noch mehr Glasscherben. Und, wo man hinblickt, Sprayereien.

Die Zeit scheint stillzustehen. Dafür stehen sinnbildlich die fehlenden Zeiger der Wanduhren. Aber auch Dinge, wie das feinsäuberlich beschriftete Zigarettenregal, wo nur die Päckchen einsortiert werden müssten. Oder der Therma-Kühlschrank mit der aufgeklebten Liste, wo im «Frigor Saucier» welche Lebensmittel gelagert werden. Weitere Dinge aus längst vergangenen Tagen sind die Stechuhr für die Zeiterfassung der Mitarbeitenden sowie die Telefonkabine, in welcher bis auf das Regal für die schweren Telefonbücher alles abmontiert wurde.

Ein Freudentag und der Anfang vom Ende

Das 1968 in Obstalden eröffnete Restaurant «Grill Café Walensee» gehörte zu den Pionieren der Schweizer Autobahngastronomie. 35 Jahre später wurde die Raststätte, im Oktober 2003, für immer geschlossen. Das Ende kam schleichend. Der Niedergang begann, als 1986 der Kerenzerberg-Strassentunnel eröffnet wurde – ein Freudentag für die Autofahrerinnen und Autofahrer, die ab sofort am Walensee weniger im Stau steckten. Für das Restaurant bedeutete dies weniger Gäste und ein Drittel weniger Umsatz. Mit dem Ausbau der Walenseestrasse zur Autobahn war die Raststätte nur noch in Richtung Zürich erreichbar und sie durfte kein Alkohol mehr verkaufen. In den darauffolgenden Jahren wurde die Walenseeautobahn weiter ausgebaut, modernisiert und während der Bauarbeiten auch zeitweise gesperrt. Raststätte- Wirt Angelo Mätzler sah schliesslich keine Zukunft mehr für sein Restaurant, das für die legendären Poulets im Chörbli bekannt war. Für dieses Gastrokonzept erhielt Mätzler gar einen Innovationspreis.

Die Zähne an den Behörden ausgebissen

Die Idee von einem Restaurant an der Walenseestrasse hatte in den 1960er-Jahren Unternehmer Walter Schrepfer. Die Gaststätte auf Stützen ist als Panoramaterrasse hoch über der Strasse konzipiert. Die Parkplätze unter ihr und am Seeufer verbanden die Architekten mit einer Rampenanlage. An ihr befindet sich auch der Eingang zum Restaurant. Im Geschoss darüber warteten Gästezimmer auf müde Touristinnen und Touristen.

Seit über 20 Jahren steht der Betonbau direkt an der Felswand leer. Er gilt als Schandfleck der Region. Ideen zur Nutzung gab es viele, realisiert werden konnte keine. Das Gebäude wechselte schon zweimal den Besitzer, seit 2013 gehört es dem Toggenburger Unternehmer Heinz Peter Moravcik. Dieser hatte die ehemalige Raststätte für 800 000 Franken gekauft, doch er biss sich an den Behörden und den Auflagen die Zähne aus. Moravcik wollte den Betonbau an exklusiver Lage mit Aussicht auf den Walensee und die Seerenbachfälle zu einem Wohnund Gewerbehaus umbauen und aufstocken. Die Gemeinde verweigerte aber die Baubewilligung, das Verfahren wurde sistiert.

Danach wollte Moravcik selbst darin wohnen – auch das wurde ihm verwehrt. Die Gemeinde hatte der Liegenschaft das Wasser abgedreht, bis sämtliche verrostete Leitungen erneuert sind. Und das Bundesamt für Strassen (Astra) schloss 2017 den kleinen Rastplatz direkt am See aus Sicherheitsgründen wegen des zu kurzen Beschleunigungsstreifens. Seither ist das Grundstück mit dem Auto nicht mehr erreichbar.

Brandstifter am Werk

2021 hatte Besitzer Moravcik von seinem Betonbau am Walensee endgültig die Nase voll. Der damals 79-Jährige verkündete im «Regionaljournal Ostschweiz» von Radio SRF, dass er die Liegenschaft von nun an sich selber überlassen werde. Als Geschäftsführer der Gesellschaft, die für die Immobilie gegründet wurde, werde diese nach seinem Tod an seine entfernten Verwandten übergehen. Was die damit anstellen, sei ihm einerlei. Kinder hat der gebürtige Österreicher selbst keine.

Nur wenige Tage, nachdem Besitzer Heinz Peter Moravcik sagte, dass er die ehemalige Raststätte endgültig verfallen lassen werde, brach im Eingangsbereich ein Feuer aus. Die Feuerwehr konnte das Feuer rasch löschen, die Polizei ging von Brandstiftung aus. Worauf Moravcik gegenüber «20 Minuten » klarstellte, dass er mit dem Brand nichts zu tun habe. Zudem betonte der Österreicher, dass im Laufe der Jahre immer wieder Vandalenakte stattgefunden hätten, ein Brand sei bisher jedoch noch nie ausgebrochen.

Im Januar 2022 brannte es erneut. Und wieder ermittelte die Polizei we-gen Brandstiftung. Dieses Mal ging auf dem gesperrten Parkplatz unter dem Restaurantgebäude ein Auto in Flam-men auf und brannte komplett aus. Der Volvo V70 ohne Nummernschilder stand dort schon über ein Jahr. Dessen zunächst unbekannte Besitzer stellte ihn dort mit dem Einverständnis des Grundstückeigentümers ab, wie Ermittlungen der Polizei ergaben.

Die ehemalige Raststätte sorgte in den letzten Jahren auch sonst regelmässig für Schlagzeilen. Unter anderem wegen angeblicher des Nachts herumtreibenden Geisterjäger oder als mutmasslicher Sex-Treffpunkt.

Das 1968 in Obstalden eröffnete Restaurant «Grill Café Walensee» gehörte zu den Pionieren der Schweizer Autobahngastronomie. Die Geister-Raststätte an der Walenseeautobahn ist nun seit über 20 Jahren verlassen.