Susann Susanne Hartmann zum Rappi-Tunnel
Die kantonale Bauchefin Susanne Hartmann bestätigt im Interview fundamentale Differenzen mit der Stadt Rapperswil-Jona, was die Sinnhaftigkeit der Tunnelabstimmung vom 10. September betrifft. Auch die Kommunikation der Stadtführung kritisiert sie wenig verblümt.
Bekanntlich sind sich St. Gallens kantonale Baudirektorin und der Stadtrat von Rapperswil-Jona zum Vorgehen beim geplanten Gesamtverkehrskonzept (GVK) 2040 beziehungsweise der bevorstehenden Tunnelabstimmung uneins. Im Interview schildert die Regierungsrätin ihre Sicht. (red) Am 10. September steht in Rapperswil-Jona die weitreichendste verkehrspolitische Weichenstellung für die nächsten Jahrzehnte an: mit der Grundsatzabstimmung zum Stadttunnel. Doch im Vorfeld des Urnengangs treten fundamentale Differenzen zwischen der Stadt als möglicher Nutzniesserin und dem Kanton als potenziellem Bauherr eines Tunnels zutage. Dies wurde im Rahmen einer Medienorientierung Mitte Juni öffentlich.
Nachdem die «Linth-Zeitung» dies kritisch kommentiert hatte und dem Stadtrat wegen der ungeklärten Differenzen «schwache strategische Führung » vorgeworfen hatte, baten Stadtpräsident Martin Stöckling (FDP) und der städtische Bauchef Christian Leutenegger (parteilos) um ein Inter-view. Darin verteidigten sie ihre Entscheidung, eine Grundsatzabstimmung über den Tunnel herbeizuführen. Es wurde aber auch klar, dass der Kanton eigentlich eine Grundsatzabstimmung über das Gesamtverkehrskonzept 2040 verlangt hatte, worin der Tunnel eine zentrale Massnahme ist.
In der Antwort auf eine einfache Anfrage der beiden Kantonsräte Susann Helbling (SP) und Andreas Bisig (GLP) bestätigte die Kantonsregierung die Kritik am Abstimmungsgegenstand. Auf Nachfrage erklärt nun die kantonale Bauchefin Susanne Hartmann (Die Mitte), warum der Kanton die Abstimmungsfrage für verfehlt hält. Zudem kritisiert die Regierungsrätin die Kommunikation der Stadtführung. Statt per Telefon nahm Hartmann schriftlich Stellung zu den Fragen.
Frau Hartmann, seit wann wissen Sie, dass die Stadt Rapperswil-Jona eine Grundsatzabstimmung über den Tunnel und nicht über das Gesamtverkehrskonzept (GVK) 2040 durchführt?
Das Tiefbauamt (des Kantons St.Gallen, Anm. d. Red.) wu rde von der Stadt Rapperswil-Jona am 28. März im Rahmen einer Sitzung zu einem anderen Thema über die konkrete Abstimmungsfrage informiert. Diese Information wurde darauf intern an die Departementsleitung weitergeleitet.
Der Stadtpräsident und der Bauchef sagten, sie hätten leitende Angestellte des kantonalen Tiefbauamts bereits Ende 2022 über die Abstimmung informiert. Ist diese Information nicht bis zu Ihnen gedrungen?
Damals wurde das Tiefbauamt von der Stadt, ebenfalls im Rahmen einer Sitzung zu einem anderen Thema, über den Zeitpunkt der Abstimmung informiert. Zum damaligen Zeitpunkt war die konkrete Abstimmungsfrage jedoch noch offen, respektive wurde dem Tiefbauamt nicht direkt kommuniziert. Da es lediglich um den Abstimmungstermin, jedoch nicht um den Inhalt der Abstimmung ging, erfolgte zu diesem Zeitpunkt noch keine Information an die Departementsleitung.
Warum haben Sie erst Ende Mai bei der Stadtführung Ihre Kritik an der Tunnelabstimmung per Brief angebracht?
Wie bereits erwähnt wurde die konkrete Abstimmungsfrage erst Ende März gegenüber dem Tiefbauamt kommuniziert. Das Schreiben des Bau- und Umweltdepartements (BUD) an den Stadtrat wurde am 24. Mai als Reaktion auf die öffentliche Informationsveranstaltung der Stadt vom 25.April versendet, in welcher die Stadt behauptete, der Kanton habe eine Grundsatzabstimmung zum Tunnel verlangt. Mit dem Schreiben wollte das Bau- und Umweltdepartement dies gegenüber dem Stadtrat richtigstellen.
Der Kanton verlangte gemäss schriftlicher Antwort zur einfachen Anfrage der Kantonsräte Susann Helbling (SP) und Andreas Bisig (GLP) kein Stimmungsbild zum Tunnel, sondern zum Gesamtverkehrskonzept. Bringt eine Grundsatzabstimmung über eine Tunnellösung nicht auch für den Kanton mehr Klarheit als eine Abstimmung über ein Gesamtverkehrskonzept mit diversen Massnahmen?
Mit dem Prozess Mobilitätszukunft hat die Stadt dem Kanton im Jahr 2014 verschiedene Tunnelvarianten übergeben, die in ein Gesamtkonzept eingebettet waren. Die Tunnelvarianten waren eine Massnahme unter vielen, welche die Verkehrsprobleme auf dem ganzen Stadtgebiet lösen sollten. Unter anderem waren Massnahmen zur ÖV-Priorisierung an der Neuen Jonastrasse/St. Gallerstrasse Bestandteil des Gesamtkonzepts. Die Stadtbevölkerung hat diese zentrale Massnahme an der Urne abgelehnt (im November 2019, Anm. d. Red.). Damit wurde das Gesamtkonzept, in welches die Tunnellösung eingebettet war, grundsätzlich hinterfragt. Eine Tunnellösung allein kann die Verkehrsprobleme in Rapperswil-Jona insbesondere auf der Achse Neue Jonastrasse / St. Gallerstrasse nicht lösen. Deshalb hat der Kanton ein neues Gesamtverkehrskonzept gefordert und verlangt, dass die Stadt bei der Bevölkerung ein Stimmungsbild zum Gesamtverkehrskonzept abholen soll. Die aktuellen Diskussionen um die Abstimmung vom 10. September zeigen, dass die Tunnelfrage die weiteren sehr wichtigen Massnahmen im Gesamtverkehrskonzept überlagert beziehungsweise verdrängt. Ein verlässliches Stimmungsbild zum Gesamtverkehrskonzept kann unter diesen Voraussetzungen nicht abgeholt werden. Der Kanton führt Abstimmungen zu Umfahrungen jeweils bei Vorliegen eines Vorprojekts durch. Nur dann können die Auswirkungen eines Tunnels effektiv aufgezeigt werden. Beim aktuellen Planungsstand wäre eine Abstimmung zu einem Gesamtverkehrskonzept stufengerecht.
In der Antwort der Regierung auf die einfache Anfrage Helbling/Bisig heisst es, das Gesamtverkehrskonzept müsse «weiter konkretisiert werden». Was fehlt spezifisch?
Der aktuelle Stand des Gesamtverkehrskonzepts würde grundsätzlich für eine Grundsatzabstimmung, nicht aber für die Erarbeitung eines Vorprojekts genügen. Danach müsste das GVK parallel zur weiteren Erarbeitung des Tunnelprojekts vertieft werden, da diese in gegenseitiger Abhängigkeit stehen. Solange das Stimmungsbild zum GVK in der Bevölkerung nicht abgeholt wird, muss gemutmasst werden, wie legitimiert oder akzeptiert das GVK in der Bevölkerung ist. Spezifisch müssten beispielsweise die im GVK aufgeführten Prüfaufträge durchgeführt und die Abstimmung mit den unterschiedlichen Interessengruppen wahrgenommen werden.
Ist demnach die Interpretation richtig, dass Sie das Tunneldossier aktuell nicht für abstimmungsreif halten?
Ja, wie bereits erwähnt, erachten wir eine Grundsatzabstimmung spezifisch zum Tunneldossier als nicht zielführend. Zum jetzigen Zeitpunkt liegt zudem noch kein Vorprojekt vor. Der Kanton führt Abstimmungen jeweils zu einem Vorprojekt durch.
Wann hat der Kanton der Stadt rückgemeldet, dass das Gesamtverkehrskonzept in der vorliegenden Form nicht genügt?
Das GVK wäre in seiner vorliegenden Form für eine Grundsatzabstimmung genügend. Es müsste allerdings in der weiteren Projektierung parallel zum Tunnel konkretisiert werden, da gegenseitige Abhängigkeiten bestehen. Der Kanton hat beim GVK mitgearbeitet und ist mit den Inhalten auf der jetzigen Planungsstufe einverstanden. Die gestellte Frage erscheint aber als obsolet, da über das GVK keine Abstimmung anberaumt wurde.
Die Stadt sagt, ohne Klärung der Tunnelfrage könne man das GVK gar nicht endgültig abschliessen, weil so vieles am Tunnel hänge. Sehen Sie das anders?
Das GVK enthält sehr viele Massnahmen, welche mit und auch ohne Tunnel umgesetzt werden sollten. Das GVK sieht Varianten mit und ohne Tunnel vor und hätte so auch mit der Bevölkerung diskutiert werden können. So hätte man für eine spätere Tunnelabstimmung im GVK auch bereits einen von der Bevölkerung akzeptierten Plan B gehabt. In der derzeitigen Diskussion zum Tunnel geht unter, dass mit einem Tunnel nicht sämtliche Verkehrsprobleme gelöst sind und weitere Anpassungen am Strassenraum aber auch am Mobilitätsverhalten notwendig sind.
Was halten Sie vom Argument des Stadtrats, dass die Bevölkerung auf Basis von Nachabstimmungsbefragungen 2011 und 2019 über den Tunnel und nicht über das Gesamtverkehrskonzept abstimmen will?
Im Jahre 2011 konnte die Bevölkerung über eine Tunnellösung abstimmen. Im Jahr 2019 wurde über ein Projekt an der Neuen Jonastrasse / St. Gallerstrasse abgestimmt, welches entlang dieser Strassen privates Eigentum konsumiert hätte. Die Interpretation, dass ein Tunnel sämtlichen Platzbedarf an dieser Achse für die Bedürfnisse des ÖV und Fuss- und Veloverkehrs beheben würde, bestätigt das vorliegende GVK nicht. Mit wie auch ohne Tunnel müsste die Neue Jonastrasse und St. Gallerstrasse für die Bedürfnisse des ÖV und Fuss- und Veloverkehrs aufgewertet werden.
War aus Sicht des Kantons eine Grundsatzabstimmung vor der Beratung des 18.Strassenbauprogramms Mitte September im Kantonsrat nötig?
Nein, dies wäre nicht zwingend notwendig gewesen.
Warum hat der Kanton nicht früher betreffend Abstimmungstermin interveniert? Der Zeitplan war laut Stadt seit über zwei Jahren bekannt.
Diese Frage stellt sich bei einem Nein zur vorherigen Frage nicht.
Im 18. Strassenbauprogramm wird unter Mobilitätszukunft Rapperswil- Jona konkret nur der Stadttunnel erwähnt. Sind die fünf Millionen Franken im Programm ausschliesslich für die Projektierung des Stadttunnels reserviert oder können diese auch für andere Verkehrsmassnahmen in Rapperswil-Jona eingesetzt werden?
Falls der Kantonsrat der weiteren Projektierung des Stadttunnels zustimmt, wären die fünf Millionen für die Projektierung des Stadttunnels und damit zusammenhängenden Planungen (zum Beispiel flankierende Massnahmen) reserviert. Da der Kantonsrat in Kenntnis der Abstimmung in Rapperswil über das 18. Strassenbauprogramm berät, könnte er im Falle eines Neins auch Mittel für andere Planungen in Rapperswil-Jona vorsehen.
Der Tunnel macht aufgrund der Kosten von mindestens einer Milliarde Franken eine Sonderfinanzierung beim Kanton nötig. Ist das Baudepartement unter Ihrer Führung überhaupt noch gewillt, einen Tunnel in Rapperswil-Jona zu bauen?
Die Regierung hat zuhanden des Kantonsrats einer weiteren Planung des Stadttunnels im Rahmen der Verabschiedung des 18.Strassenbauprogrammes zugestimmt. Sollte auch der Kantonsrat dieser Planung mit der Verabschiedung des 18.Strassenbauprogramms zustimmen, wird das Bauund Umweltdepartement mit der Planung entsprechend fortfahren.