Sonnen- und Schattenseite der Goldenen Generation
Die Kader von Swiss-Ski bieten derzeit hohe Qualität und Quantität, besonders im Männer-Speed-Bereich ist die Konkurrenz enorm. Ein Umstand, der Erfolg garantiert, aber auch Hürden mit sich bringt.
WM-Abfahrt in Crans-Montana 1987: Peter Müller triumphiert vor seinen Teamkollegen Pirmin Zurbriggen und Karl Alpiger. Auf Platz 4 folgt mit Franz Heinzer ein weiterer Schweizer, im 6. Rang klassiert ist Daniel Mahrer – abermals ein Athlet von Swiss-Ski.
38 Jahre später dominieren die Schweizer die Königsdisziplin erneut, sowohl im Weltcup als auch an den Weltmeisterschaften. In Saalbach triumphiert Franjo von Allmen, Bronze geht an Alexis Monney. Zwei junge Schweizer, 23 und 25 Jahre, die in die Bresche springen, wenn Leitwolf Marco Odermatt mal nicht seinen besten Tag hat – so wie am Sonntag.
Der direkte Weg in den Speed
Der Berner Oberländer und der Freiburger stehen sinnbildlich für die jungen Wilden im Schweizer Team, die den arrivierten Kräften Druck machen. Anders aber als etwa Marco Odermatt oder auch Justin Murisier, die ihre ersten Schritte auf Stufe Weltcup in den technischen Disziplinen gegangen sind, stiegen Von Allmen und Monney direkt im Speed-Bereich ein. In einem Metier, in dem Erfahrung mehr Wert ist als Draufgängertum, in dem Erfolge mit Weitsicht geplant werden.
Dominierten in den vergangenen Jahrzehnten Routiniers den Super-G und die Abfahrt, hat spätestens mit Odermatt eine neue Zeitrechnung begonnen. Dank Tipps von «Ziehvater» und Teamkollege Beat Feuz, einer schnellen Auffassungsgabe und überproportionalem Talent, stiess er innerhalb von nicht einmal drei Jahren an die Weltspitze hervor.
Eine ähnliche Entwicklung nahmen andere Fahrer aus dem Team von Swiss-Ski, allen voran Von Allmen und Monney. Beide genossen die Grundausbildung des Verbandes, mussten bis zur Stufe U18 sämtliche Disziplinen bestreiten, ehe erst im Europacup festgelegt wurde, in welche Richtung es gehen soll.
Eine Investition in die Zukunft
«Wir verlieren dort vielleicht etwas Zeit auf andere Nationen, die sich früher spezialisieren», sagt Walter Reusser, CEO Sport von Swiss-Ski. «Aber die holen wir später wieder auf.» Als Beispiel zieht er FIS- und Europacup-Abfahrten herbei. «Dort gewinnen nicht immer die besten Skifahrer, sondern auch mal die besten Gleiter. Aber das allein bringt dich später nicht weiter, holt dich im Weltcup ein.»
Franjo von Allmen etwa sei auch ein talentierter Slalomfahrer gewesen. Nur habe er für den Speed-Bereich noch bessere Voraussetzungen mitgebracht mit seinem Körperbau und seinem Mindset. Reusser hebt jedoch auch im grösstmöglichen Erfolg den Mahnfinger. «Wenn es auf der Abfahrt leichter wird als im Slalom, muss man dann schauen, dass es nicht alle dorthin zieht.»
Swiss-Ski hat gerade im Speed-Bereich der Männer eine seit den Triumphen 1987 in Crans-Montana nie dagewesene Breite. Waren es zwischenzeitlich Einzelkämpfer wie Urs Lehmann, Bruno Kernen, Didier Cuche oder zuletzt Beat Feuz, welche die Schweizer Fahne an Grossanlässen hochhielten, gehörten am Sonntag alle fünf am Start stehenden Schweizer zumindest zum erweiterten Favoritenkreis. Mit Marco Kohler und Lars Rösti durften zwei hoffnungsvolle Athleten nach erfüllter WM-Limite, aber gescheiterter teaminterner Qualifikation, erst gar nicht mittun.
Eine Frage der Qualität
Auch im Weltcup balgen sich die Fahrer um die acht Startplätze. Die Dichte ist so gross, dass gewisse Fahrer im Europacup starten müssen, obwohl sie längst auch auf höchster Stufe mithalten könnten. Bestes Beispiel ist Arnaud Boisset. Der 26-jährige Westschweizer gewann vor zwei Jahren die Europacup-Wertung im Super-G und sicherte sich so einen fixen Startplatz für die folgende Weltcupsaison. Beim Saisonfinale in Saalbach im vergangenen März fuhr er im Super-G als Dritter sensationell auf das Podest. Doch selbst für ihn dürfte es im kommenden Jahr keinen Platz im Weltcup-Kader geben – vorausgesetzt, es verletzt sich kein Athlet und kehrt Niels Hintermann nach seiner Krebserkrankung zurück.
Ein weiteres Beispiel, wie schwierig es momentan ist, im Weltcup Fuss zu fassen, ist Livio Hiltbrand. Der 21-jährige Simmentaler gewann im vergangenen Winter die Europacup-Wertung in der Abfahrt und sicherte sich einen fixen Startplatz für den Weltcup. Er verzichtete schweren Herzens, aber aus freien Stücken etwa auf die Lauberhorn-Abfahrt – weil er sich grössere Chancen ausrechnet, über die Europacup-Wertung einen fixen Startplatz zu holen, als Unterschlupf im Weltcup-Team zu finden.
«Der Erfolg mit den vielen jungen Athleten hat auch Schattenseiten», sagt Reusser. Das Wichtigste sei es, ehrlich zu sein, so bitter das für die betroffenen Athleten auch sei. «Aber sie wissen: Wenn sie zu den besten acht Schweizern gehören, kommen sie zum Zug.»
Was momentan für manche aussichtslos erscheint, kann sich schnell ändern. In der Sierra Nevada 1996, keine zehn Jahre nach dem Vierfach-Triumph in Crans-Montana, war Xavier Gigandet als WM-Zehnter der beste Schweizer.