Sorge vor weiteren schweren Angriffen im Libanon
Angefacht von neuen israelischen Luftschlägen wächst im Libanon die Angst in der Bevölkerung. Die libanesischen Behörden berichteten von 23 weiteren Todesopfern und rund 100 weiteren Verletzten.
Das israelische Militär erklärte zugleich, es habe eine von der libanesischen Hisbollah auf Tel Aviv abgefeuerte Rakete abgeschossen. Es war das erste Mal, dass die vom Iran unterstützte Miliz die israelische Küstenmetropole direkt ins Visier nahm.
Im Kampf gegen die Hisbollah mobilisiert die israelische Armee nach eigenen Angaben zwei weitere Reservebrigaden. Ziel seien «operative Einsätze im nördlichen Bereich». Der für den Norden Israels zuständige Kommandeur Ori Gordin sagte, das Land müsse für ein Bodenmanöver bereit sein. Dies wurde als Hinweis für ein möglicherweise bevorstehende Bodenoffensive im Libanon gedeutet, über die seit Beginn der intensivierten Angriffe auf die Hisbollah in den vergangenen Wochen vermehrt spekuliert wird. Aus Hisbollah-Kreisen hiess es dazu, die Kämpfer der Miliz seien «bereit, sich jeglicher möglichen Bodeninvasion entgegenzustellen».
Geisterstädte, Panik und viel Solidarität im Libanon
Die intensiven Bombardierungen seit dem Wochenende mit Hunderten Toten trafen vor allem den Süden des Libanon, aber auch die Bekaa-Ebene im Osten. Sie haben Panik und Verzweiflung in dem kleinen Land am Mittelmeer ausgelöst. Vertriebene und Anwohner der betroffenen Gebiete im Süden suchten teils am Strand Schutz – fern von möglichen Zielen in der Hoffnung, dort sicherer zu sein. Viele Ortschaften nahe der libanesisch-israelischen Grenze wirkten wie ausgestorben. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR sind durch die israelischen Angriffe seit Montag Zehntausende Menschen in die Flucht gezwungen worden.
Zahlreiche Libanesinnen und Libanesen zeigten sich solidarisch: Sie boten Schlafplätze an, Hotels stellten Geflüchteten kostenlos Zimmer zur Verfügung. Doch Augenzeugen berichteten auch von Versuchen, die Notlage der Vertriebenen auszunutzen: Matratzen und elektronische Geräte wurden zu überhöhten Preisen verkauft.
Mehrfache Vertreibung
Der Konflikt trifft das ohnehin von Krisen gebeutelte Land hart. Seit Jahren leidet der Libanon unter einer Wirtschaftskrise, die auch das Gesundheitssystem an den Rand des Zusammenbruchs gebracht hat. Zudem hat das Land seit dem Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs im Jahr 2011 etwa 1,5 Millionen Flüchtlinge aufgenommen. «Wir sind vor ein paar Jahren aus unserem Land geflohen, ich komme aus Homs, und jetzt sind wir auf der Strasse und wissen nicht, wohin wir gehen sollen», klagte Mohammed, ein syrischer Flüchtling und Vater von sechs Kindern.
Nach Angaben der UN versuchten Tausende Menschen nun gar, vor dem Konflikt nach Syrien zu fliehen. An der Grenze stünden Hunderte Autos mit verzweifelten Menschen. Viele Menschen kämen auch zu Fuss, mit ihren wenigen Habseligkeiten in Kisten und Koffern. Einige seien bei den Angriffen verletzt worden. Sie hätten die Nacht im Freien verbracht und warteten seit Stunden am Grenzübergang. Auf der Suche nach Sicherheit müssten die Menschen innerhalb einer Region fliehen, die ihnen kaum noch Schutz bieten könne, hiess es vom deutschen Partner des UNHCR, der Uno-Flüchtlingshilfe.
Umfangreiches Raketenarsenal
Seit Ausbruch des Gaza-Kriegs zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen vor knapp einem Jahr kommt es auch in der israelisch-libanesischen Grenzregion fast täglich zu gegenseitigem Beschuss. Die Hisbollah will nach eigener Darstellung mit den Angriffen die Hamas im Gazastreifen unterstützen. Nach den massiven israelischen Bombardierungen im Libanon auf Hisbollah-Ziele seit dem Wochenende droht nun ein offener Krieg zwischen Israel und der Hisbollah. Israels will die Miliz so weit schwächen, dass sie ihren Beschuss einstellt und Israelis in ihre Wohngebiete im Landesnorden zurückkehren können.
Beobachter und Ex-Militärs im Libanon bestätigen unterdessen den Vorwurf des israelischen Militärs, dass die Hisbollah Waffen in Wohngebieten versteckt. «Die Hisbollah hat keine Baracken oder Orte, um ihre Waffen zu lagern, weil Israel sie entdecken wird», sagte der libanesische ehemalige Armee-Brigadier Wehbe Katischa, der im Südlibanon im Einsatz war. «Deshalb befinden sich ihre wichtigsten Depots zwischen Häusern und in gebirgigen Gebieten nahe den Wohnhäusern.» Oft wissen Anwohner jedoch nichts von den Waffenlagern. Die Hisbollah verfügte vor Beginn des Gaza-Kriegs über schätzungsweise 150.000 Raketen.
Raketenalarm im Zentrum Israels ausgelöst
In der israelischen Küstenmetropole Tel Aviv heulten am frühen Mittwochmorgen die Sirenen. Nach Angaben eines Militärsprechers war es das erste Mal überhaupt, dass die Hisbollah-Miliz eine Rakete auf Tel Aviv gefeuert hat. Diese sei abgefangen worden. Die Schiitenorganisation erklärte, der Angriff habe dem Hauptquartier des israelischen Auslandsgeheimdiensts Mossad in einem Vorort von Tel Aviv gegolten. In der Metropole war zuletzt Ende Mai Raketenalarm ausgelöst worden, damals wegen eines Angriffs der Hamas.
Papst: Eskalation im Nahen Osten muss gestoppt werden
Papst Franziskus forderte die Weltgemeinschaft zum Handeln auf. «Ich hoffe, dass die internationale Gemeinschaft alles tun wird, um diese schreckliche Eskalation zu stoppen. Sie ist nicht hinnehmbar», sagte das Oberhaupt der katholischen Kirche in seiner wöchentlichen Generalaudienz auf dem Petersplatz in Rom. Er sei betrübt über die Luftangriffe der vergangenen Tage. Zu viele Tote und zu viel Zerstörung seien im Libanon zu beklagen.
Irans Religionsführer: Hisbollah wird nicht fallen
Irans Religionsführer sieht ungeachtet der Tötung hochrangiger Kommandeure der Hisbollah in den vergangenen Tagen keine Anzeichen für eine Niederlage der Organisation. «Ohne Zweifel war es ein Verlust für die Hisbollah, aber es war kein Verlust, der die Hisbollah zu Fall bringen würde», sagte Ajatollah Ali Chamenei (85) bei einer Veranstaltung für Veteranen in Teheran.
Die Hisbollah gilt seit Jahren als wichtigster Verbündeter des Irans im Nahen Osten. Dass Teheran ihr im Falle eines Krieges zur Hilfe eilt, sehen Beobachter als unwahrscheinlich an. Irans neue Regierung unter Präsident Massud Peseschkian hat mit einer schweren Wirtschaftskrise zu kämpfen und ist um eine Wiederannäherung mit dem Westen bemüht.