Die Schweiz vor dem Treffen mit den Weltmeisterinnen
Im zweiten Spiel der Nations League trifft das Schweizer Nationalteam der Frauen auf Weltmeister Spanien. Eine Revanche für den WM-Achtelfinal ist unwahrscheinlich, aber es zählt nicht nur der Erfolg.
Am Ende muss Inka Grings die Worte sagen, die sie nach ihren bisher elf Spielen als Nationaltrainerin der Schweiz schon öfter in die Mikrofone hat diktieren müssen. Ihr Team habe sich bemüht und bisweilen sogar Druck auf die Gegnerinnen ausüben können. Leider habe dann in den entscheidenden Momenten doch die Präzision gefehlt, die letzte Entschlossenheit auch, ein Tor zu erzielen.
0:1 hat das Schweizer Ensemble am Freitag gegen Italien verloren und damit einen denkbar schlechten Start in die neugeschaffene Nations League erwischt. Zumal eine Niederlage gegen die nominell schwächsten Gegnerinnen in der Gruppe den Druck auf die Spielerinnen von Grings signifikant erhöht und das angestrebte Ziel des Ligaerhalts noch schwieriger zu erreichen wird als ohnehin schon, wenn mit Spanien (1.) und Schweden (3.) zwei der besten Teams der vergangenen WM zur Schweizer Gruppe gehören.
Baustelle in der Offensive
Gerade einmal acht Treffer sind der SFV-Auswahl gelungen, seit Grings Anfang Jahr das Amt als Cheftrainerin übernommen hat. Ein Wert, der zeigt, wo die grösste Baustelle dieses Teams liegt. Die Probleme in der Offensive sind keine neue Erkenntnis, und doch sind sie ein Thema, welches die Verantwortlichen beschäftigt, allen voran Grings, die einst zu den torgefährlichsten Stürmerinnen der Welt gehörte. Regelmässig wird die Deutsche nach dem Patentrezept für Tore gefragt. Sie, sechsmal Torschützenkönigin der deutschen Bundesliga, zweimal beste Skorerin an einer Europameisterschaft, sie müsste es doch wissen. Sie müsste die Blockade im Schweizer Angriffsspiel doch lösen können.
«Solche Seuchen gehören zum Leistungssport dazu», sagt Grings vor dem zweiten Auftritt der Schweizerinnen in der Nations League. «Das Wichtigste ist, dass wir daraus lernen.» Die 44-Jährige sagt, dass sich die Spielerinnen viele Gedanken machen und sich unter Druck setzen würden, bisweilen fingen einige auch an zu verzweifeln ob der anhaltenden Schwierigkeiten im Spiel nach vorne. «Aber ich kann ihnen absolut keinen Vorwurf machen.»
Pilgrim als Sinnbild
Grings erwähnt die Schlussphase im Spiel gegen Italien, als die Schweizerinnen doch plötzlich Chancen kreieren konnten und durch Alayah Pilgrim beinahe zum Ausgleich gekommen wären. Anhand der 20-jährigen Stürmerin des FC Zürich lässt sich die Bedeutung dieses neu geschaffenen Wettbewerbs illustrieren – und damit auch ein anspruchsvoller Balanceakt, den Grings und ihr Staff zu bewältigen haben. Denn einerseits geht es um sportlichen Erfolg. Die besten vier Teams der Liga A qualifizieren sich analog zum Format der Männer für ein Final-Four-Turnier, wo im Februar 2024 zwei Startplätze für das olympische Turnier in Paris vergeben werden. Die Letzten der Gruppe steigen derweil in die Liga B ab.
Andererseits sollen diese Testpartien unter Wettkampfbedingungen auch die Möglichkeit bieten, neue Spielerinnen ans Nationalteam heranzuführen. Neben Pilgrim feierte am Freitag auch die in Schweden engagierte Smilla Vallotto (19) ihr Debüt für die Schweiz. Grings sagt, sie wolle jungen Spielerinnen ermöglichen, Erfahrungen zu sammeln und dadurch auch den Konkurrenzkampf erhöhen. «Nur so wird man besser.»
Wältis Hoffnung
Angesichts der bevorstehenden Partie am Dienstag (21.00 Uhr) in Cordoba gegen Weltmeister Spanien ist es eine konsequente Haltung im Streben danach, die Breite im Kader zu vergrössern und die Verantwortung auf mehrere Schultern zu verteilen. Und doch ist sie risikobehaftet, wenn man sich den Auftritt der Schweizerinnen im WM-Achtelfinal Anfang August gegen die Spanierinnen vor Augen führt, als sie beim 1:5 chancenlos an ihre Grenzen stiessen.
«Vielleicht», mutmasst Captain Lia Wälti, «werden sie uns jetzt ein bisschen unterschätzen.» Die 30-jährige Mittelfeldspielerin erwähnt zudem die Unruhen im spanischen Verband, der die Spielerinnen erst in letzter Sekunde dazu bewegen konnte, in der Nations League anzutreten. Vielleicht seien die Spanierinnen nicht ganz bei der Sache. «Wenn sich uns eine Chance bietet, zu kontern, müssen wir sie nutzen», sagt Wälti. Auch ohne Offensivakteurin Ramona Bachmann, welche die Reise nach Andalusien aufgrund einer Fussverletzung nicht angetreten hat.
Für die Absicht, die stotternde Offensive zum Laufen zu bringen, ist dies keine gute Nachricht. Aber Grings sagt im Wissen der klar verteilten Favoritenrolle: «Wir haben nichts zu verlieren.»